In Richtung Europameister
Nicht nur auf dem Fussballfeld ist jetzt Taktik gefragt. Europäische Aktien holen bei der Gewinndynamik auf und haben das Zeug zum Meistertitel. Wir erklären, welche Anlagen als Spieljoker taugen, und welche wir auf der Ersatzbank setzen.
Text: Stefano Zoffoli
Die Dominanz weniger US-Firmen am globalen Aktienmarkt hat in den vergangenen zwei Monaten neue Extreme erreicht. Inzwischen investiert ein passiver, vermeintlich globaler Aktieninvestor zu 70% in den USA, und die sieben grössten Unternehmen stellen dort 20% der Marktkapitalisierung.
Zwar werden diese eindrücklichen Kurssteigerungen mit Firmengewinnen untermauert – für 2024 werden geschätzte 400 Milliarden USD Gewinne erwartet, verglichen mit 80 Milliarden USD für den SMI. Dennoch rechnen wir in der zweiten Jahreshälfte mit einer Abkühlung der Gewinndynamik im US IT-Sektor von zuvor 50% auf 20%, auf das ganze Jahr besehen.
Spielverlagerung von US-Technologie zur Eurozone
Die «Europameister» spielen dabei in mehreren Positionen: Nebst IT gehören Pharma, zyklische Konsumgüter wie Luxuswaren, Grundstoffe und Banken zu den tragenden Sektoren. Die beinahe euphorische Stimmung – getragen durch wenig Absicherungen, hohe Aktienquoten und Konzentration auf wenige Titel – veranlasst uns zudem, die Aktienübergewichtung zu vermindern. Dabei ziehen wir weiterhin die Schweiz und die Schwellenländer vor.
Unsere Erwartung eines neuerlichen Inflationsrückgangs spricht jedoch gegen einen deutlichen Abbau von Risiken. Denn dieses Szenario würde die in manchen Ländern eingeläuteten Zinslockerungen unterstützen. In diesem Umfeld rechnen wir mit überdurchschnittlichen Erträgen von Staatsanleihen.
Wie schätzen wir die Finanzmärkte aktuell ein und wie sind wir positioniert?
- 2023 war ein Jahr mit kontrastierender Gewinnentwicklung: Steigerungen in den USA standen einem Rückgang in Europa gegenüber. Seit dem 1. Quartal 2024 wachsen nun die Gewinne europäischer Firmen mit plus 11% und holen in der Dynamik langsam auf.
- Die Rahmenbedingungen sind mit Blick auf den erwarteten Zinssenkungspfad positiv, während die Wahlgewinne von rechten Parteien zu einer politischen Risikoprämie in der Region geführt haben.
- Mit der Verschiebung in Richtung Europa wird bei Faktorinvestments der Stil «Value» (KGV von 14 versus 22 in den USA) zulasten von «Growth» aufgebaut. Dies insbesondere, indem US-Technologiewerte reduziert werden.
- Mittelfeld: Positiv sehen wir die kurzfristige Entwicklung des EUR gegenüber CHF. Die Schweizerische Nationalbank führt derzeit den Reigen der Zinslockerungen an, was gerade gegenüber dem EUR kurzfristig die gewollte Abschwächung des CHF bewirken könnte.
- Ersatzbank: Hingegen sprechen gleich mehrere Gründe gegen den USD. Auf dem Wechselkurs lastet der unseres Erachtens anstehende Inflationsrückgang in den USA. Dies verbunden mit Zinssenkungen, einer abnehmenden Dominanz am Aktienmarkt und politischer Unsicherheit sowie steigender Schuldenlast.
- Stürmer: Ganz anders dagegen Norwegen. Die dynamische Konjunktur wird eine Senkung der Leitzinsen von den aktuell hohen 4.5% nicht erlauben, und die NOK wird stärker.
- Grossbritannien, Energie und Momentum – Halten: Den ersten beiden Märkten gemeinsam ist ihre günstige Bewertung. Bei Grossbritannien sorgt dafür ein Mix von Pharma-, Konsum- und Energietiteln; bei der Energie wirkt auf globaler Ebene zusätzlich die Schere, die sich zwischen Erdölpreis und Kursen geöffnet hat. Denn anders, als zu erwarten gewesen wäre, hat der ein Anstieg im Fasspreis von 12% auf 82 USD die Energieaktien nicht beflügelt. Der Faktor Momentum reflektiert hingegen die verstärkte Tendenz der letzten sechs Monate, sich auf Gewinner zu fokussieren, wie etwa KI oder Medikamente gegen Übergewicht.
- US-Versicherer und Climate-Titel – Verkaufen: Die Prämienerhöhungen bei Autoversicherungen folgten dem steigenden Inflationstrend. Die Umsätze wachsen aktuell zwar immer noch stärker als der Gesamtmarkt. Jedoch hat die relative Gewinn- und Preisdynamik in den letzten Monaten abgenommen. Derweil hat bei Firmen, die klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen anbieten, eine schwierige Phase eingesetzt. Dies aufgrund von diversen Staatsinterventionen und Handelszöllen. Zuvor hatten gewisse Industriewerte im Bereich Elektrifizierung noch einen starken Kursanstieg erlebt.