Gemischtes Schweizer Portfolio in der Inflation: Droht eine «Lost Decade»?
Die hohe Inflation bringt steigende Zinsen – und mit Aktien und Obligationen geht es gemeinsam bergab. Wie verhält sich ein gemischtes Schweizer Portfolio in solchen Phasen? Da wir eine derart hohe Inflation lange nicht mehr erlebt haben, soll heute die Analyse von historischen Inflationsphasen Klarheit und somit Handlungsmaximen bringen. Wir betrachten ein gemischtes Schweizer Portfolio über einen Zeitraum von 100 Jahren.
Text: Phil Gschwend
Die Inflationszahlen sind in den USA und der Eurozone aktuell so hoch wie zuletzt in den 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In der Schweiz ist die Inflationsrate mit 2.4% so hoch wie seit 13 Jahren nicht mehr. Diese, im internationalen Vergleich recht moderate inländische Inflation kann mit dem starken Schweizer Franken, dem in der Schweiz hohen Anteil an administrierten Preisen und der geringeren Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten erklärt werden.
In diesem Blog analysieren wir, wie sich ein Schweizer Portfolio in Phasen hoher Inflation verhalten hat und ordnen das aktuelle Umfeld ein. Dafür haben wir mit unüblich langen historischen Zeitreihen
- ein Portfolio mit 60% Schweizer Aktien und 40% Schweizer Obligationen (eine typische Gewichtung in den USA) und
- ein Multi-Asset-Portfolio mit Realwerten wie Immobilien, Gold und Rohstoffe (je 5% Gewicht) dafür weniger Aktien (55%) und Obligationen (30%) gebildet.
Abbildung 1: 100 Jahre Schweizer 60/40-Portfolio
Abbildung 1 zeigt, dass die Inflation in der Schweiz (graue Fläche) während des 2. Weltkriegs mit bis zu 15% besonders ausgeprägt war. In friedlichen Zeiten stechen zwei Phasen besonders ins Auge: Die 70er und die 80er Jahre. Der Wert eines gemischten Portfolios (türkise Linie) ist über die letzten 100 Jahre nicht immer angestiegen, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Maximale Verluste (Drawdown, rote Fläche) in der Grössenordnung von nahezu 40% waren Mitte der 60er und 70er Jahre zu verzeichnen. Wir fokussieren uns dabei auf die beiden (markierten) Perioden in den 70er und späten 80er Jahren. Diese Phasen zeichnen sich durch stark ansteigende Inflationsraten aus – so wie wir es heute gerade erleben. Lassen sich daraus Reaktionsmuster und Handlungsanweisungen ableiten?
Abbildung 2: Stagflation in den 70er Jahren (1972-1980)
In den 1970er, als zwei Ölpreisschocks viel Wohlstand vernichteten, verzeichneten die USA und die Schweiz Inflationsraten von über 10%. Im Kampf gegen die hohen Inflationsraten erhöhten die Zentralbanken trotz schwachen Wirtschaftswachstums aggressiv die Zinsen. Dies führte zu einer tiefen Rezession und steigender Arbeitslosigkeit.
Da in einer Stagflation sowohl Aktien als auch Obligationen an Wert verlieren, war der Drawdown des 60/40-Portfolios mit -31% enorm hoch. Zudem dauerte es mehr als vier Jahre, bis der Verlust wieder aufgeholt war. Durch Beimischung von Realwerten gelang es, die hohen Verluste des 60/40-Portfolios abzufedern: das Multi-Asset-Portfolio verlor rund 6% weniger und war innerhalb von zwei Jahren bereits wieder über dem Vorkrisenniveau.
Abbildung 3: Moderate Inflationsbekämpfung Ende der 80er Jahre (1988 - 1991)
Nach dem Black Monday im Jahr 1987, als der Dow Jones innerhalb eines Tages um fast 23% eingebrochen war, wurde die stark ansteigende Inflation (in deN USA und der Schweiz von 1% auf 6%) ebenfalls mit Zinserhöhungen bekämpft. Im Gegensatz zu den 70er Jahren uferte die Inflation jedoch nicht aus, das Zinsniveau war zu Beginn der gelpolitischen Straffung höher als heute. So blieb die Straffung moderat und das Wachstum robust. In der folgenden Rezession, Anfang der 90er Jahre, senkten die Zentralbanken die Zinsen frühzeitig. Die daraus resultierende, positive Rendite bei Obligationen begrenzte den Drawdown des 60/40-Portfolios auf -15.2%. Auch hier waren die Verluste des Multi-Asset Portfolios dank der Realwerte etwas kleiner.
Noch mehr Kursverluste
Aktuell erleben wir nun wieder eine Phase, in der aufgrund der stark steigenden Inflation sowohl Aktien als auch Obligationen an Wert verlieren. Der Drawdown des 60/40 Portfolios beläuft sich bisher auf -6.3% (per 25 April 2022); das Multi-Asset Portfolio konnte dieses Mal um 2% outperformen. Bleiben die Inflationsraten hoch, so dürften gemäss diesen historischen Beispielen weitere schmerzhafte Verluste anstehen. Gewisse Analysten befürchten sogar, dass aufgrund der hohen Inflation und Bewertung nun erneut die Gefahr einer «Lost Decade» droht. Dies würde bedeuten, dass ein traditionelles Portfolio mit 60% Aktien und 40% Obligationen über einen Zeitraum von 10 Jahren keine Gewinne machen würde. So etwas haben wir in der Schweiz zuletzt in der oben erwähnten Stagflationsphase in den 70er Jahren erleben müssen.
Wie Abbildung 4 zeigt, kam es in den vergangenen 100 Jahren nur drei Mal zu Phasen mit 10-jährigem negativen Ertrag. Umgekehrt waren Anlagen in einem gemischtem Portfolio in den 90er Jahren mit Erträgen von 10-15% p.a. äusserst erfolgreich.
Abbildung 4: Rollierender 10-Jahres-Nominalertrag (annualisiert) des Schweizer 60/40-Portfolios in %
Obwohl wir ein gewisses Stagflationsrisiko orten, sind wir der Meinung, dass wir uns eher in einem Umfeld wie Ende der 80er Jahre befinden. Die Inflation verharrt zwar aktuell aufgrund des Krieges in der Ukraine länger als erwartet auf hohem Niveau. Aber: Details der März-Inflationszahlen haben erste Hinweise in Richtung sinkender Inflationsraten gegeben. Das Wachstum wird sich in den Jahren 2022 und 2023 verlangsamen, gleichzeitig ist die Basis des Wachstums in Form von hoher Beschäftigung, hohen Ersparnissen und tiefer Verschuldung) nach wie vor gesund. Wir gehen davon aus, dass sich – wie in den vergangenen 50 Jahren – eine «Lost-Decade» verhindern lässt. Konsequenz: Es wird sich auszahlen, investiert zu bleiben.
Fazit
Der maximale Verlust eines gemischten Portfolios war in den 80er Jahren circa doppelt so hoch wie die aktuellen Einbussen. Eine «Lost Decade» halten wir angesichts der allmählich rückgängigen Inflation für höchst unwahrscheinlich. Ein Schweizer Investor sollte somit investiert bleiben und sein Portfolio mit Realwerten, zum Beispiel mit Gold, Rohstoffen und Immobilien ergänzen und diversifizieren.