Kommt jetzt die Lohn-Preis-Spirale?

Aufgrund höherer Rohstoffpreise und Lieferkettenprobleme sowie eines wirtschaftlichen Nachfrageschubs nach der Pandemie, steigen die Preise für Konsumgüter weitläufig. Damit nimmt auch der Aufwärtsdruck auf die Löhne zu. Diese Entwicklung hat Folgen für Aktien.

Text: Stefano Zoffoli und Rocchino Contangelo

«So I would like to see the system return to wage growth starting with a three». Diesen Wunsch hegte der australische Notenbank-Chef Philip Lowe bereits im August 2019. Nun ist der Lohnzuwachs in Down Under da und nähert sich der angepeilten 3-Prozent-Marke. Die Löhne klettern auch in anderen Regionen der Welt - teils moderat, teils steil. In den USA beträgt die Zunahme rund 6 %. Ist das zu viel und eine Gefahr für die Inflation? Ja, würden wir sagen, wenn die Lohnzunahme strukturell wäre. Wir sind aber der Ansicht, dass es sich hierbei bloss um ein temporäres Aufflackern handelt. Denn:

  1. Der Lohnanstieg ist bisher vor allem in den USA ausgeprägt. Die Gründe: Arbeitskräfte kehren dank steigenden Vermögen (Börse und Immobilien) sowie grosszügiger staatlicher Arbeitslosenunterstützung nur zögerlich in den Arbeitsmarkt zurück. Das führte denn auch dazu, dass die Arbeitslosenrate nahe an den Tiefststand von vor der Pandemie gedrückt wurde (siehe nachfolgende Grafik). Die beiden Faktoren «Arbeitslosenunterstützung» und «Vermögensgewinne» wirken aber naturgemäss nur temporär. Wir erwarten indes, dass wieder mehr Amerikanerinnen und Amerikaner in den Arbeitsmarkt zurückkehren werden.
  2. Die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht bleibt trotz sporadischer Anhebung der Mindestlöhne schwach. Allerdings: Auf lange Sicht spielt die Überalterung der Gesellschaft den Gewerkschaften in die Karten.
  3. Der konjunkturelle Aufschwung nach der Pandemie ist einzigartig und benötigt etwas Zeit zur Bewältigung. Der erhöhte Nachholbedarf der Konsumenten trifft gerade auf knappe Produktionskapazitäten hinsichtlich Personal und Rohstoffe. Die Nachfrage kann unter diesen Umständen nicht vollständig befriedigt werden.

Entwicklung der Arbeitslosenrate und des Stundenlohns in den USA

Quelle: Zürcher Kantonalbank, Bloomberg

Implikationen steigender Löhne

Die unseres Erachtens temporäre Anhebung der Löhne impliziert zwei Makroeffekte: Zum einen nimmt der Konsum zu, wenn Einkommen steigen. Das ist grundsätzlich positiv für Aktien aus dem Konsumsektor. Zum anderen steigen die Produktionskosten der Firmen. Der Druck auf die Gewinnmargen nimmt zu, wenn gleichzeitig die Verkaufspreise nicht oder ungenügend angehoben werden können. Das ist wiederum schlecht für kotierte Unternehmen mit schwacher Preissetzungsmacht.

Also insgesamt kein Effekt? Das ist abhängig von Verlauf und Dynamik. Ein bekannter Reflex aus den 1970-80er ist die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale. Dabei ist insbesondere die Kausalität relevant. Steigende Preise treiben die Löhne üblicherweise stärker als umgekehrt. Aktuell liegt die Preiszunahme allerdings deutlich über der Lohnzunahme (also doch kein Anstieg des real verfügbaren Einkommens). Wir gehen davon aus, dass sich die Inflation bis zum Jahresende wieder Richtung 4 % bewegt, und sich in der Folge die Lohnzunahme abkühlen wird.

Fokus auf Preissetzungsmacht

Basierend auf den bereits geschilderten Annahmen sowie unter der Prämisse, dass der Ukraine-Konflikt nicht zu grösseren Problemen in den globalen Lieferkette führt und sich die Lage bei den Rohstoffmärkten normalisiert, behaupten sich in der Regel Firmen mit soliden Geschäftsmodellen und Preissetzungsmacht.

Unternehmen, die beides erfüllen, vermögen inflationäre Tendenzen einerseits direkt dem Kunden weiterzugeben. Anderseits sind sie in der Lage, höheren Lohndruck zu kompensieren, ohne dabei grosse Margeneinbussen in Kauf nehmen zu müssen.

Eine umfassende US-Analyse durch den Broker Bernstein zeigt: Aktien von Firmen mit starker Preissetzungsmacht erzielen in einem inflationären Umfeld eine annualisierte Überschussrendite am Finanzmarkt von 2,2 %. Bei Aktien von Firmen ohne Preissetzungsmacht hingegen beträgt die annualisierte Rendite -2,6 %.

Analyse annualisierter Renditen von US-Aktien von 1954 bis 2021

Quelle: Factset, CRSP, Bernstein analysis

Die nachfolgende Tabelle enthält beispielhaft diverse Aktien von Unternehmen, die über eine starke Preissetzungsmacht verfügen.

Aktien mit Preissetzungsmacht

LVMH Moet Hennessy

Infineon

Merck

Roche

Reckitt Benckiser

US Bancorp

L'Oreal

Swisscom

Marsh & McLennan

SAP

Unitedhealth

Bank of New York Mellon

Equinor

Abbott

Dollar General

Siemens Healthineers

Pepsico

Microsoft

Richemont

Costco

 

Diverse Branchen senden Warnsignale

Verschiedentlich haben Unternehmen Warnsignale an die Märkte entsendet. So hat beispielsweise General Electric (GE) kürzlich kommuniziert, dass einerseits die Lieferengpässe weiterhin problematisch seien und die Löhne weiter stiegen, was zu Margendruck führe. Ferner haben Restaurant-Betreiber sowie personalintensive Sektoren wie Logistik und Transport ebenfalls vor steigenden Lohnkosten gewarnt. Klassischerweise kommt in diesem Umfeld mit steigenden Rohmaterialpreisen und höheren Löhnen auch der Lebensmitteleinzelhandel in Ländern mit starkem Wettbewerb unter Druck. Dazu zählt beispielsweise Grossbritannien.

Die Publikationen wurden vom Buy-Side Research des Asset Managements der Zürcher Kantonalbank und nicht von der Abteilung «Finanzanalyse» im Sinne der von der Schweizerischen Bankiervereinigung herausgegebenen «Richtlinien zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Finanzanalyse» erstellt. Die Publikationen unterliegen folglich nicht diesen Richtlinien.

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