«Oftmals fehlt das Ver­ständ­nis für die Tran­si­tion»

Fabio Pellizzari, Leiter ESG-Strategie im Asset Management der Zürcher Kantonalbank, über die zahlreichen Missverständnisse im nachhaltigen Investieren, die Probleme mit den EU-Vorgaben und die Kraft der Finanzhäuser, um Veränderungen anzustossen.

Interview mit Fabio Pellizzari , geführt von Roberto Stefano, Neue Zürcher Zeitung

«Man kann durchaus etwas bewegen – nicht alleine, aber in der Masse», Fabio Pellizzari, Head of ESG Strategie & Business Development

Vor knapp zwei Wochen endete die jüngste Klimakonferenz in Sharm El-Sheikh. Was bleibt von diesem Treffen in Erinnerung?

Fabio Pellizzari: Nichts, was nicht bereits 2021 in Glasgow diskutiert wurde. Man ist diesmal nicht wirklich weitergekommen.

Braucht es die jährlichen Konferenzen überhaupt?

Die Treffen sind essentiell, auch wenn es manchmal schwierig ist, konkrete Massnahmen zu vereinbaren. Denn der Klimawandel ist ein globales Problem und kann nur global gelöst werden. Zudem wurden an vergangenen UN-Klimakonferenzen, namentlich an jener von Paris 2015, wichtige Beschlüsse gefasst.

Wie wirken sich diese auf Ihr tägliches Geschäft aus?

Der Beschluss der Pariser Klimakonferenz, die globalen Netto-Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto-null zu reduzieren, hat beispielsweise diverse Staaten motiviert, Verkaufsverbote für Benzin- und Dieselautos zu erlassen. Viele Autobauer haben in der Folge den Ausstieg aus den Verbrennungsmotoren verkündet. Für uns als Asset-Management-Haus ist es zentral, dass wir die daraus entstehenden Risiken und Chancen für die einzelnen Firmen erkennen. Denn diese wirken sich direkt auf die Rendite einer Finanzanlage aus.

Wie gehen Sie dabei vor?

Auch wir bekennen uns zu den Pariser Klimazielen und verfolgen seit 2020 mit unseren aktiven Anlagen traditioneller Asset-Klassen einen Treibhausgas-Absenkungspfad. Dazu messen wir in jedem Anlageuniversum den CO2e-Ausstoss. Damit wir bis 2050 das 2-Grad-Ziel erreichen, müssen wir die Treibhausgas-Emissionen jährlich um 4 Prozent senken. Streben wir das 1,5 Grad-Ziel an, sind es sogar 7,5 Prozent pro Jahr. Für jedes Portfolio können wir täglich die Höhe des CO2e-Ausstosses ermitteln. Auch lassen sich die Auswirkungen von Käufen oder Verkäufen auf die Portfolios simulieren.

Inwieweit nehmen Sie Einfluss auf die Nachhaltigkeitsanstrengungen der Unternehmen?

Wir verfolgen den Engagement-Ansatz, sprechen mit den Firmen und versuchen, entsprechende Massnahmen anzustossen oder zu unterstützen. Mit Holcim beispielsweise, dem wohl grössten kotierten CO2e-Emittent der Schweiz, pflegen wir seit 2017 einen regelmässig Austausch über Treibhausgas-Reduktionsziele. Eine andere Möglichkeit ist die teilweise oder ganzheitliche Veräusserung von Titeln, wenn das Absenkungsziel nicht erreicht wird. Denn wir müssen den CO2e-Ausstoss im Portfolio kompensieren, wenn eine Firma mehr Emissionen ausstösst, als unser Absenkungspfad vorgibt.

Wobei Holcim doch eher zu den nachhaltigeren Zementfirmen zählt.

Dies trifft tatsächlich zu. Der Zementkonzern arbeitet daran, seinen Treibhausgas-Ausstoss jährlich um 7,5 Prozent zu reduzieren. Dazu hat er bereits zahlreiche Massnahmen eingeleitet.

Was, wenn Holcim vom Pfad abweicht?

Wir müssten über die Zeit eine Untergewichtung der Holcim-Titel in Erwägung ziehen, damit das Portfolio den Absenkpfad erfüllt.

Engagement: Wir fordern und fördern Veränderungen

Als aktive Vermögensverwalterin fordern und fördern wir nachhaltige Geschäftspraktiken und die Einhaltung anerkannter internationaler Prinzipien und ESG-Best-Practice-Standards. Mehr Infos.

Sie führen die beiden Produktlinien «Responsible» und «Sustainable». Weshalb braucht es diese Unterscheidung?

Die «Responsible»-Strategie zielt auf den Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft hin und investiert deshalb in fast alle Sektoren und Länder. Die Strategie geht über die vom Schweizer Verein für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen (SVVK-ASIR) empfohlene Blacklist hinaus. So schliessen wir Unternehmen aus, die bspw. Waffen und Munition herstellen, Kinderarbeit tolerieren, Pornografie produzieren oder in der Kohleindustrie tätig sind. Darüber hinaus suchen wir den Dialog mit den Unternehmen und streben das 2-Grad-Klimaziel an.

In der Strategie «Sustainable» sind die Ausschlusskriterien noch umfassender und - abgesehen von den Themenfonds - gilt das sehr ambitionierte 1,5 Grad-Ziel. Zudem investieren wir hier in Geschäftsmodelle, die schon heute Lösungen für die Zukunft bieten, mit denen sie angesichts der sozialen und ökologischen Probleme in den kommenden Jahren überdurchschnittlich wachsen werden. Aufgrund der Ausschlusskriterien und der Positivselektion verbleiben rund 30% des ursprünglichen Anlageuniversums. Das erklärt das etwas höhere Abweichungsrisiko der «Sustainable» Strategie von einer traditionellen Benchmark.

Ist die «Responsible» Strategie überhaupt nachhaltig?

Ja, unbedingt. «Responsible» steht primär für Ausschlusskriterien sowie Stimmrechtsausübung. Wir gehen deutlich weiter, indem wir ESG-Kriterien integrieren und die Klimaziel-Vorgaben einbeziehen. Beim nachhaltigen Investieren gibt es unterschiedliche Ansätze. Viele Retailkunden haben aber das Sustainable-Konzept vor Augen, wenn sie über Nachhaltigkeit sprechen. Sie sind erstaunt, wenn sie zum Beispiel Nestlé oder Holcim im Portfolio vorfinden. Bestehende, konventionelle Geschäftsmodelle in nachhaltige Geschäftsmodelle umzubauen, ist in der Praxis sehr komplex, teuer und zeitaufwändig. Das Verständnis für diese Transition fehlt oftmals. Dabei ist es wichtig, dass grossen Konzernen die Transition gelingt. Denn einerseits sind ihre Produkte oft essentiell, um den Wandel zu vollziehen. Andererseits ist auch die Wirkung deutlich grösser, wenn Nestlé beispielsweise komplett auf recyclebare und abbaubare Verpackungen umstellt, als wenn ein kleiner Bioshop an der Ecke mit einem Zero-Waste Konzept wenige Kundinnen und Kunden bedient. Beide Ansätze haben ihre Daseinsberechtigung und kommen Gesellschaft und Umwelt zugute.

Nochmals zum Engagement-Ansatz, dem Dialog mit den investierten Firmen. Wie wirkungsvoll ist dieses Vorgehen überhaupt?

Eine direkte Wirkung zu zeigen ist sehr schwierig, da wir nicht die einzigen sind, die sich engagieren. In der Schweiz werden wir als drittgrösster Asset Manager sicherlich stärker gehört. Hier haben wir auch sehr gute Kontakte ins Top-Management von Schweizer Firmen. Im Ausland haben wir diese Aufgabe an Sustainalytics mandatiert. Ebenfalls sind wir im Ausland über Co-Engagements aktiv. Alles in allem können wir heute eine deutlich stärkere Kraft entfalten als noch vor wenigen Jahren. Ein erfolgreiches Beispiel eines Engagements, an dem wir beteiligt waren, ist jenes von Engine Number 1, einem kleinen Hedge Fonds. Er forderte eine Veränderung im Verwaltungsrat von Exxon hin zu mehr Nachhaltigkeit. Dank des gemeinsamen Vorgehens mehrerer Finanzhäuser, wurden drei gestandene Verwaltungsräte durch Experten im Bereich erneuerbare Energien ausgetauscht. Man kann durchaus etwas bewegen – nicht alleine, aber in der Masse.

Wie rapportieren Sie transparent gegenüber Ihren Kunden?

In unserem Swisscanto Sustainability Report weisen wir für alle nachhaltigen Fonds eine Reihe wichtiger Kennzahlen aus und vergleichen diese mit dem Vergleichsindex. Neben unserem eigenen ESG-Score rapportieren wir die Erreichung des Klimaziels. Ebenfalls werden kontroverse Geschäftsfelder ausgewiesen.

«Responsible» und «Sustainable»

Was zeichnen «Responsible» und «Sustainable» Fonds aus? Erfahren Sie die Details

Am 1. Januar 2023 tritt die EU-Taxonomie für nachhaltige Aktivitäten in Kraft. Was halten Sie davon?

Die Taxonomie gibt mehr oder weniger vor, was nachhaltig ist und was nicht. Die genauen Spielregeln sind bis heute nicht bekannt. Von den insgesamt 12 Zielen sind derzeit lediglich zwei definiert. Auch wird die Realwirtschaft erst ab 2023 diese Daten rapportieren. Das Ganze ist also noch Work-in-Progress.

Worum handelt es sich genau bei der Taxonomie?

Es handelt sich im Moment um Vorgaben im Bereich Klimaschutz für diverse Industrien. Weitere ökologische und soziale Ziele werden noch folgen. Die Taxonomie gibt beispielsweise vor, dass ein Auto mit weniger als 50 Gramm CO2-Ausstoss pro Kilometer als nachhaltig gilt, was derzeit lediglich Elektroautos erreichen können. Anhand der Angaben der Unternehmen oder aufgrund von Analysen müssen wir als Asset Manager ausweisen, wie viele Prozent unserer Investitionen nachhaltig sind. Wenn zum Beispiel acht Prozent der verkauften Modelle eines Automobilherstellers unter dem Schwellenwert liegen, dann gelten nur acht Prozent der Investition als nachhaltig.

Worauf läuft es hinaus?

Die EU-Taxonomie als auch SFDR sind unfertige Produkte. Man wird sich finden müssen. Grundsätzlich begrüssen wir eine Regulierung. Aber es ist ein sehr komplexes Thema. Dieses dürfte vor allem für kleinere Asset Manager zur Herausforderung werden – wegen des hohen administrativen Aufwands und den hohen Kosten.

Ab 2024 will die EU zudem die Scope-3-Emissionen, also die Treibhausgasemissionen entlang der Wertschöpfungskette einer Firma, in die Nachhaltigkeitsreportings zu jeder Anlage integrieren. Macht das Sinn?

Anders als bei den direkten Emissionen (Scope 1) und den indirekten (Scope 2) ist die Datenqualität bei den Scope-3-Emissionen ungenügend. Sie werden weitestgehend geschätzt. Je nach Datenanbieter unterscheiden sich die Resultate deshalb deutlich. Zudem werden in den Scope-3-Daten die Emissionen stark aufgebläht. Wird Kohle verbrannt, um Strom zu erzeugen, entstehen die Emissionen einmal. Bei der Scope-3-Berechnung werden diese nun zusätzlich noch der Minengesellschaft, dem Stromhändler, der Bank, die den Stromerzeuger finanziert, etc. angerechnet. Aber es bleibt immer dieselbe Emissionsquelle. Scope 3 Emissionen einfach zu Scope 1 und 2 zu addieren sehen wir kritisch, weil es bisherige, auf soliden Daten basierende Klimaziele verwässert. Es fehlen derzeit Guidelines, wie die Scope 3 Integration sinnvoll gestaltet werden kann.

2024 dürfte somit kaum realistisch sein?

Wir werden nächstes Jahr nochmals eine Umsetzung versuchen. Aber wir sind nicht die einzigen Asset Manager, die mit dieser Vorgabe hadern. Stand heute rapportieren erst rund 800 Unternehmen Scope 3 Emissionen. Alleine in unserem System befinden sich aber rund 30´000 Firmen.

Ohne fundierte Daten und einem verlässlichen Reporting kommt schnell der Verdacht des Greenwashings auf. Wie sehen Sie das?

Das Thema ist in den Medien sehr präsent, insbesondere nach dem DWS-Skandal. Wenn man etwas anpreist, was nicht umgesetzt wird, ist es Greenwashing. Ich denke nicht, dass die Finanzindustrie damit ein systematisches Problem hat. Vielmehr wird nachhaltiges Anlegen oft falsch verstanden und ist subjektiv, da es von den eigenen Werten abhängt. Ein Beispiel: Obwohl klar angegeben ist, dass es sich um ein Transitionsportfolio handelt, wird ein solches Produkt eine Mogelpackung genannt, wenn darin Energiefirmen enthalten sind. In diesem Zusammenhang ist die Ausbildung unserer Kundenberaterinnen und -berater entscheidend. Es braucht eine einfache, verständliche und verbindliche Kommunikation der verschiedenen Nachhaltigkeitsansätze inklusive deren Eignung für unterschiedliche Kundenbedürfnisse.

Zu Ihren Kunden gehören viele Pensionskassen und Versicherungen. Sollten deren langfristige Vorsorgegelder nachhaltig investiert sein?

Pensionskassen verwalten rund 1'000 Milliarden Franken. Eine ansehnliche Summe, welche es verantwortungsvoll anzulegen gilt. Laut der Swisscanto Pensionskassenstudie sind sie bezüglich nachhaltigem Anlegen aber noch zurückhaltend. Erst etwa 40 Prozent der grossen Kassen messen die Treibhausgas-Emissionen, bei den kleineren Pensionskassen liegt der Wert lediglich bei 7 Prozent. Es gibt also noch Luft nach oben.

Wie sehr spüren Sie angesichts der aktuellen Weltwirtschaftslage einen Rückgang des Interesses an nachhaltigen Anlagen? Wird bereits umgeschichtet?

Nein, gar nicht. Vielmehr haben wir in unseren nachhaltigen Produkten sehr hohe Zuflüsse gemessen. Dies deckt sich auch mit der IFZ-Studie: während die traditionellen Fonds im vergangenen Jahr Abflüsse verzeichnen mussten, verzeichneten nachhaltige Anlagegefässe einen konstanten Zufluss.

Das Interview mit Fabio Pellizzari führte Roberto Stefano. Es erschien Anfang Dezember 2022 im NZZ Themendossier «Nachhaltig investieren».

Kategorien

Nachhaltigkeit