Strommarkt: Diese Wendepunkte stehen 2025 bevor
Im kommenden Jahr werden gemäss der Internationalen Energieagentur (IEA) erneuerbare Energien erstmals mehr Strom erzeugen als Kohlekraftwerke. Damit könnte man rund den gesamten Strombedarf von China decken. Doch weil die weltweite Stromnachfrage kontinuierlich steigt, braucht es hohe Investitionen in die Strominfrastruktur.
Autoren: Gerhard Wagner und Kristijan Faltak
Der weltweite Strombedarf nimmt stetig zu, allein seit 2010 durchschnittlich um knapp 3% pro Jahr. Für rund ein Drittel der globalen Stromnachfrage ist mittlerweile China verantwortlich. Dort ist der Strombedarf bis 2023 jährlich um rund 6% gestiegen. Abbildung 1 unterstreicht eindrucksvoll die Position von China, dessen Pro-Kopf-Stromverbrauch seit Ende 2022 jenen der Europäischen Union übertrifft.
Während sich das Wachstum in baunahen Industrien wie Glas und Zement 2023 etwas verlangsamt hat, sorgten der Dienstleistungssektor sowie andere Industriesektoren für anhaltenden Schub. Zu letzteren zählen Bereiche wie die Herstellung von Photovoltaik (PV)-Modulen, Elektrofahrzeugen und der Verarbeitung damit verbundener Materialien.
Neben China steigt die Stromnachfrage auch in Indien rasant an, allerdings von einem niedrigeren Niveau aus. Das anhaltend schnelle Wirtschaftswachstum und die robuste Nachfrage nach Raumkühlung sind hier die wichtigsten Treiber. Zusammen mit der zunehmenden Elektrifizierung erwartet die Internationale Energieagentur (IEA), dass die Stromnachfrage in China und Indien von 2024 bis 2025 zwischen 6% und 7% steigen wird. Trotz des starken prozentualen Wachstums in beiden Ländern wird China in den nächsten drei Jahren mengenmässig den grössten Anteil am Nachfragewachstum haben.
Stromnachfrage von China, Indien, den USA und der EU,1991–2025e
Meilenstein 1: Mehr Strom aus erneuerbaren Energien als aus Kohle
Im Jahr 2025 wird in Hinblick auf die Dekarbonisierung der Stromerzeugung ein wichtiger Meilenstein erreicht: So stieg laut der IEA der Anteil der erneuerbaren Energien an der weltweiten Stromversorgung bis 2023 auf 30% und dürfte bis 2025 voraussichtlich 35% erreichen. Gleichzeitig erwartet die Energieagentur, dass die Abhängigkeit von der Kohle abnimmt und ihr Anteil im gleichen Zeitraum von 36% auf 33% sinkt, womit sie hinter die erneuerbaren Energien fallen dürfte.
An der Spitze dieses technologischen Wandels stehen die Solar- und Windenergie. Ihr gemeinsamer Anteil dürfte von 13% im Jahr 2023 auf 15% 2024 und auf 18% im Jahr 2025 steigen. Die IEA erwartet , dass die Wind- und PV-Erzeugung zusammen zusätzliche 750 Terrawatt-Stunden (TWh) im Jahr 2024 und ein Jahr später bereits mehr als 900 TWh liefern werden. Der jährliche Anstieg im Jahr 2025 kommt dem gesamten Strombedarf von Frankreich und Italien gleich. Zum Vergleich: Im globalen Massstab entspricht die Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien ungefähr der Stromnachfrage von China.
Die globale Entwicklung bei den verschiedenen Stromerzeugungstechnologien, 2014-2025e
Meilenstein 2: Zusätzlicher Strombedarf erstmals nur aus kohlenstoffarmer Stromerzeugung
Die weltweite zusätzliche Stromnachfrage konnte in der Vergangenheit nicht ohne fossile Energieträger gedeckt werden. Insbesondere in Ländern wie China und Indien wurden neue fossile Kraftwerke gebaut. Hier kommt es 2025 vermutlich zu einem weiteren Wendepunkt: Wie Abbildung 3 zeigt, kommt die durchschnittliche zusätzliche, globale Stromerzeugungskapazität ausschliesslich aus erneuerbaren Energien und Kernenergie. Weltweit wird die Verstromung von Kohle gemäss der IEA leicht sinken. Bemerkenswert ist, dass diese Aussage auch für China allein gilt. Das Reich der Mitte wird im Jahr 2025 ca. 700 TWH mehr Strom erzeugen als 2024, wobei dies allein mit kohlenstoffarmen Technologien umgesetzt werden sollte.
Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung sind die Kosten. So lagen die Stromgestehungskosten für neue Kraftwerke in China im Jahr 2022 im Bereich «Wind Onshore» bei 45 US-Dollar pro Megawatt-Stunden (MWh), bei Solar PV bei 50 US-Dollar pro MWh. Im Vergleich dazu war die Kohleverstromung mit 65 US-Dollar pro MWh wesentlich teurer (Quelle: IEA World Energy Outlook 2023).
Jährliche globale Veränderung der verschiedenen Stromerzeugungstechnologien, 2019–2025e
Fazit:
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die zunehmende Stromnachfrage über die vergangenen Jahre alles in allem durch neue Kapazitäten bei den erneuerbaren Energien abgedeckt werden konnte. Das Wachstum bei der Stromnachfrage von China ist vergleichbar mit dem Plus der erneuerbaren Energien in absoluten Wachstumszahlen. Über die vergangenen zehn Jahre stieg die Stromnachfrage in China und das globale Angebot aus erneuerbaren Energien um jeweils ca. 5'000 TWh. Dies ist aus Sicht des Klimaschutzes eine beachtliche Leistung.
Wenn aber der Stromerzeugungssektor tatsächlich dekarbonisiert werden soll, braucht es weitere Anstrengungen, damit die bestehenden fossilen Kraftwerke weniger in Betrieb sind – auch wenn sie in vielen Fällen weiterhin als Reservekapazitäten benötigt werden, für Zeiten, in denen die erneuerbaren Energien nicht zur Verfügung stehen (Dunkelflaute). Die kohlenstoffarmen Energien müssen zukünftig nicht nur die zusätzliche Nachfrage abdecken, sondern auch die bestehenden fossilen Kraftwerke ersetzen. Nur so lassen sich die CO2-Emissionen senken, was dringend geboten ist, wenn das Klimaschutzziel von Paris noch erreicht werden soll.